Freispruch im Prozess am 6. Mai 2021 in Aschaffenburg
Weitere Informationen und Details zum Freispruch folgen in Kürze.
Schutzräume schaffen - Abschiebungen verhindern - Kriminalisierung der Solidarität stoppen
Donnerstag, 6. Mai in Aschaffenburg – Prozess wegen Aufruf zu Bürger:innenAsyl
9.00 Uhr Prozessbeginn im Landgericht
11.00 Uhr Kundgebung auf dem Schlossplatz
Charterabschiebungen nach Afghanistan und nun sogar nach Sri Lanka, Einzelabschiebungen nach Somalia oder Äthiopien. Die Verantwortlichen kennen keine Tabus mehr. Die Politik der Ausgrenzung eskaliert weiter auf allen Ebenen: der Länder, des Bundes und auf europäischer Ebene insbesondere durch die Grenzschutzagentur Frontex. Abschiebungen um jeden Preis: in Krieg, in Verfolgung, in Armut und Perspektivlosigkeit. Nach Pakistan oder Nigeria, nach Tunesien und vor allem in die Balkanländer.
2020 gab es allein 122 Sammelabschiebungsflüge unter Beteiligung der Bundespolizei und mit finanzieller Unterstützung durch Frontex. Insgesamt wurden in dieser Zeit massiver Corona-Reisebeschränkungen mehr als 10.000 Menschen unter Zwang ausgeflogen. Dazu kommt die Ausweitung der Abschiebehaft. Ein Apparat der Erniedrigung und Gewalt. Institutioneller Rassismus!
Wir werden gegen dieses Unrecht weiter kämpfen. Mit Kundgebungen, Demonstrationen und Blockaden. In Solidarität mit den Betroffenen bei Last-Minute-Protesten im Flugzeug. Mit Kampagnen gegen die Kollaboration der beteiligten Fluggesellschaften. Und mit dem Auf- und Ausbau von Schutzstrukturen. Mit Kirchenasylen und Bürger:innenAsylen. Mit Zufluchtsräumen, mit Gästezimmern in Wohnprojekten, mit Couch-Surfing. Mit Aufrufen, Menschen in Not und Gefahr zu unterstützen und notfalls zu verstecken.
„Öffentliche Aufforderung zu Straftaten“ lautet die Anklage am 6. Mai in Aschaffenburg im Berufungsverfahren gegen Hagen Kopp von kein mensch ist illegal in Hanau. Weil er mit seinem Namen im Impressum der Webseite https://aktionbuergerinnenasyl.de steht.
Nachdem es im Juli 2020 vor dem Amtsgericht in Alzenau einen glatten Freispruch gab, hatte die Staatsanwaltschaft Aschaffenburg u.a. mit folgender Begründung Berufung eingelegt: „Durch den Aufruf ´von Abschiebung bedrohten Menschen Bürger:innenAsyl zu gewähren und sie auch notfalls in ihren Wohnungen zu verstecken` wird zu einer rechtswidrigen Tat aufgerufen. Dies wurde in der Öffentlichkeit auch objektiv so verstanden. Die Argumentation des Gerichts überzeugt nicht, zumal Menschen, die sich mit einer Duldung in der Bundesrepublik aufhalten, eben gerade derzeit nicht von Abschiebung bedroht sind und demzufolge nicht versteckt werden müssen, das sie aufgrund der Duldung gar nicht abgeschoben werden können.“
Die Staatsanwaltschaft hat offensichtlich keine Ahnung vom Asylrecht oder davon, wie Abschiebungen ablaufen. Dennoch sollte erwartet werden können, dass sie sich zumindest bei kompetenten Stellen erkundigt, bevor sie Berufung gegen ein immerhin sachliches erstes Urteil einlegt. Das obige Zitat aus der Begründung ist an Peinlichkeit kaum zu überbieten.
Denn die überwiegende Mehrzahl von Menschen, die in den letzten Monaten und Jahren abgeschoben oder zu diesem Zweck vorab in Haft genommen wurden, mussten mit einer Duldung leben, die sie nicht davor schützt, Nachts überfallartig von der Polizei aus den Betten geholt zu werden. Viele “Geduldete” leben in Unsicherheit und mit der ständigen Angst, dass sie jederzeit in ein Flugzeug nach Kabul oder Lagos, nach Tunis oder Tirana gezwungen werden können. Das ist die tagtägliche brutale Realität der Abschreckungs- und Ausgrenzungspolitik.
Wir werden das Berufungsverfahren in Aschaffenburg zum Anlass nehmen, die rassistische Gewalt der Abschiebungen und deren Eskalation in den letzten Monaten zu kritisieren und zu skandalisieren. Auf der Kundgebung im Anschluss an den Prozess werden wir deutlich machen, dass wir uns nicht einschüchtern lassen, sondern weiter kämpfen: für die offene Gesellschaft der Vielen. Für eine Zukunft mit gleichen Rechten für Alle, in der das tödliche Grenzregime und die brutale Abschiebepraxis als verbrecherisches Kapitel der Geschichte erscheinen werden.
Make deportations history!
Kein Mensch ist illegal!
Hintergrundinformationen zum Prozess
Zum Urteil im Strafverfahren wegen „Öffentlicher Aufforderung zu Straftaten“ am 16. Juli 2020 in Alzenau
„Der Angeklagte wird freigesprochen“….
Aus den Gründen zum Urteil vom 28.07.2020:
„… a) § 111 Abs. 1,2 stGB fordert, dass hier durch Verbreiten von Schriften öffentlich oder in einer Versammlung zu einer rechtswidrigen Tat aufgerufen wird.
Der Angeklagte hatte eingeräumt, Verantwortlicher für die hier maßgebliche Internetseite www.aktionbuergerinnenasyl.de gewesen zu sein. Er würde im Impressum als Verantwortlicher bezeichnet.
b) Es bleibt bereits fraglich, ob hier durch den Aufruf „von Abschiebung bedrohten Menschen BürgerInnenasyl zu gewähren und sie auch notfalls in ihren Wohnungen zu verstecken“ zur Durchführung einer rechtswidrigen Tat aufgerufen wird.
Der Aufruf ist allgemein gehalten und spricht lediglich von Menschen, die von Abschiebung bedroht sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nicht jeder von Abschiebung bedrohte Mensch, sich gleichzeitig illegal in der Bundesrepublik Deutschland aufhält, mithin durch den Aufruf dazu aufgerufen wird, Beihilfe zum illegalen Aufenthalt zu leisten. Vielmehr sind auch Menschen von Abschiebung bedroht, die sich mit einer Duldung in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, mithin ihr Aufenthalt nicht illegal ist im Sinne von § 95 Abs. 1 AufenthG.
c) Selbst wenn man jedoch hinsichtlich des Aufrufs darauf abstellt, dass hier Hilfe dazu geleistet werden soll, Abschiebungen zu verhindern, mithin einen illegalen Aufenthalt zu beenden, fehlt es auch an einer hinreichenden Bestimmtheit des Aufrufs hinsichtlich der hier tatsächlich gewollten Taten. Die Rechtsprechung ist insoweit hinsichtlich des erforderlichen Grades an Konkretisierung uneinheitlich (siehe dazu Münchener Kommentar zu § 111 StGB, 3. Auflage 2017, Rd.Nr. 13-15).
Selbst wenn man mit der herrschenden Meinung davon ausgeht, dass insoweit durch die Person des Auffordernden keine näheren Vorgaben von Zeit und Ort sowie der speziellen Umstände der Tatausführung erforderlich sind, so ergibt sich doch aus dem Wortlaut „von Abschiebung bedrohte Menschen“ nicht zwingend, dass es sich dabei tatsächlich um illegale Ausländer handeln soll. Dabei ist auch die Form der Hilfeleistung nur vage bezeichnet, was sich auch darin zeigt, dass der Begriff des „notfalls Versteckens“gewählt wird. Vorherige Hilfleistungsstufen, die den Grad der Strafbarkeit noch nicht erreichen, wie etwa humanitäre Hilfe durch Verschaffen von Nahrung, können von dem Aufruf ebenfalls umfasst sein, aber ohne dass dabei im einzelnen der Grad der Beihilfe zum illegalen Aufenthalt zwingend erreicht werden muss. Daneben werden mit dem Aufruf Dritte aufgefordert, die Aktion „Bürgerinnenasyl“ zu unterstützen. Hier kann auch eine bloß moralische Unterstützung , beispielsweise durch Solidaritätsbekundungen gemeint sein, ohne dass eine Strafbarkeit auch nur annähernd berührt wäre.
d) Entscheidend ist hier jedoch, dass bei Berücksichtigung der vorangegangenen Ausführungen und des vage gehaltenen Aufrufs erhebliche Zweifel bleiben, ob die Aufforderung in allen naheliegenden Deutungsmöglichkeiten ein strafbares Verhalten zur Folge haben muss. Bei Bestehen solcher Zweifel ist jedoch unter Berücksichtigung des in dubio pro reo Grundsatzes im Wege verfassungskonformer Auslegung die straflos bleibende Variante zugrunde zu legen (siehe hierzu Münchener Kommentar: a.a.O.Rd.Nr. 14).
Nach alledem war der Angeklagte hier aus rechtlichen Gründen freizusprechen. …“
Erklärung im Prozess am 16. Juli 2020 in Alzenau
„Im Mai 2017 wurde in Hanau eine der bundesweit ersten Initiativen für BürgerInnenAsyl gestartet. Hintergrund waren die seit Ende 2016 angelaufenen Charterabschiebungen nach Afghanistan, in ein bekanntlich von anhaltendem Bürgerkrieg gezeichnetes Land.
Über 50 Bürgerinnen und Bürger aus der Hanauer Zivilgesellschaft haben den Aufruf unterzeichnet, in dem sie u.a. formulieren: „..Wir werden von Abschiebungen bedrohten Flüchtlingen aus Afghanistan Bürgerasyl gewähren, das heißt, wir werden Platz machen in unseren Wohnungen und notfalls die Menschen verstecken, die in Krieg und Verfolgung zurückgeschickt werden sollen.“
Die bundesweite Vernetzung und Kampagne für BürgerInnenAsyl startete ein Jahr später – 2018 – mit Plakaten und einer Webseite. Ich möchte den Aufruf bzw. die Selbsterklärung der Kampagne von vor zwei Jahren hier ausführlich zitieren. Denn diese Statement hat nichts an Aktualität verloren. Es ist und bleibt Ausdruck einer notwenigen täglichen Solidarität mit allen, die von Abschiebung bedroht sind. Und es sind Sätze aus diesem Aufruf, auf Grund derer – und weil ich für das Impressum der Webseite mit meinem Namen gezeichnet habe – ich heute hier der „öffentlichen Aufforderung zu Straftaten“ angeklagt bin.
Zum Aufruf, der mit folgenden zwei Überschriften beginnt:
„Ich würde Menschen verstecken, um sie vor Abschiebung zu schützen!
Meine Solidarität gegen die Politik der Abschiebung und Ausgrenzung. Für eine Gesellschaft von Allen und für Alle.“
Der Text: „Menschen in Not zu helfen, sie willkommen zu heißen und ihnen Schutz zu gewähren, ist eine der natürlichsten Sachen der Welt. Im Sommer 2015 beteiligten sich Millionen Menschen in diesem Land, diese Werte in die Tat umzusetzen. Und auch wenn mittlerweile wieder rassistische Hetze und verschärfte Gesetze die Situation in Deutschland und Europa dominieren – die praktische Solidarität, die vor drei Jahren gelebt wurde, ist noch immer lebendig. Ich will beitragen, sie zu erneuern und zu stärken in einer Zeit, in der Menschenrechte für Geflüchtete und MigrantInnen systematisch mißachtet werden. Jeden Tag werden Menschen von Flughäfen abgeschoben. Sie werden gegen ihren Willen in andere Länder Europas oder in ihre Herkunftsländer verfrachtet, zurück in Armut, Verfolgung oder gar Krieg. Das will ich nicht tatenlos hinnehmen. Ich stehe auf für eine offene Gesellschaft, in der wir – ohne Abschiebungen und Ausgrenzung – die Zukunft gemeinsam gestalten wollen. Für eine solidarische Welt, in der die Würde des Menschen tatsächlich unantastbar ist.“
Und dann weiter – und das ist wohl der Anlass für dieses Verfahren heute:
„Deshalb rufe ich dazu auf, lokale Initiativen zu unterstützen, die von Abschiebung bedrohten Menschen BürgerInnenAsyl gewähren und sie auch notfalls in ihren Wohnungen verstecken. Ich werde mich selbst, nach meinen Möglichkeiten, an Initiativen des zivilen Ungehorsams gegen die ethisch nicht vertretbare Abschiebepolitik beteiligen: für ein zivilgesellschaftes Willkommen in einer offenen und sozial gerechten Gesellschaft.“
Um es nicht zu unterschlagen: federführend im Ermittlungsverfahren und zur Kriminalisierung des BürgerInnenAsyl und damit jetzt gegen mich war bzw. ist die Staatsanwaltschaft in Cottbus. In Brandenburg scheinen einige Behörden, Polizei und Staatsanwälte besonders sauer darauf zu sein, dass sich dort sehr lebendige Initiativen und Schutzstrukturen gegen Abschiebungen entwickelt haben. Weil sie offensichtlich vor Ort niemanden finden konnten, haben sie über die bundesweite Webseite und darin über das Impressum eine Person gesucht, der sie deswegen einen symbolischen Prozess machen wollen.
Ich zitiere aus einer Verfügung der Staatsanwaltschaft Cottbus: „Unterzeichner hat als Leiter der landesweit zuständigen Schwerpunktabteilung zur Bekämpfung der Computer- und Datennetzkriminalität , datenschutzrechtlicher Verstöße sowie gewaltdarstellender , pronographischer uns sonstiger jugendgefährdender Schriften im Rahmen der Prüfung der Internetseite https://www.b-asyl-barnim.de auf strafrechtlich relevante Inhalte auch die Internetseite www.aktionbuergerinnenasyl.de gesichtet.“
Dazu möchte ich kurz sagen: Hat diese Staatsanwaltschaft wirklich nichts Besseres zu tun. Ich komme aus Hanau, wo am 19. Februar 2020 neun junge Menschen bei einem rassistischen Terroranschlag ermordet wurden. Von einem Täter, der schon zwei Wochen vor der Tat sein rassistisches Traktat im Internet – nicht im Darknet – ganz öffentlich zur Schau stellte. Und wovon alle Ermittlungsbehörden angeblich nichts mit bekommen haben. Aber die sog. Schwerpunktabteilung recherchiert zu BürgerInnenAsyl?! Geht es noch?
Es ist deshalb mehr als beschämend, dass die Staatsanwaltschaft Aschaffenburg sich die Auffassung der StA Cottbus zu eigen gemacht. Weil ich, die Person aus dem Impressum, in einer Gemeinde in Bayern gemeldet bin, bin ich jetzt angeklagt. Diese Anklage ist juristisch absurd und menschenrechtlich wird sie früher oder später auf dem Misthaufen der Geschichte landen.
Der zitierte Aufruf bleibt hochaktuell. Gerade jetzt, wenn die Abschiebungen, die wegen Corona ausgesetzt werden mussten, wieder starten sollen. In den letzten Wochen wird auch dank der Black lives matter Bewegung viel über Rassismus diskutiert. Rassismus verletzt und Rassismus tötet. Rassismus hat viele Gesichter: die Morde in Hanau am 19. Februar, aber auch die täglichen Toten und illegalen Push-Backs an den europäischen Außengrenzen. Abschiebungen sind ebenfalls ein Ausdruck von Rassismus. Und hatten schon tödliche Folgen.
Ich möchte kurz erinnern – Say their Names:
Kola Bankole starb am 30. August 1994, nachdem er von einem Polizisten mit einem selbstgemachten Strumpfknebel stranguliert wurde – in einer Lufthansamaschine am Frankfurter Flughafen.
Derselbe Tatort am 28. Mai 1999: Aamir Ageeb stirbt an einem sog. „lagebedingten Erstickungstod“, nachdem ihm Polizisten einen Helm aufgesetzt und ihn mit aller Gewalt in den Sitz gedrückt haben. 1994 und 1999: Das scheint lange her und die brutale Abschiebegewalt der Bundespolizisten wurde damals etwas reformiert. Doch nichts ist vergessen und es kann jeden Tag wieder passieren.
Zudem: zu Abschiebungen gehört die Abschiebehaft. Menschen, die nichts verbrochen haben, werden alleine deswegen eingesperrt, um sie leichter abschieben zu können. Und immer wieder begehen Menschen in Abschiebehaft aus Verzweiflung Suizid. Wer ist dafür verantwortlich? Abschiebegefängnisse und Abschiebungen sind institutioneller Rassismus. Bürokratisches Unrecht.
Bei den Charterabschiebungen – insbesondere bei denen nach Afghanistan – kommt es immer wieder zu polizeilicher Gewalt, zu Verletzungen oder zur Ruhigstellung mittels Medikamenten. Es kann jederzeit auch wieder Abschiebetote geben.
Vor diesem Hintergrund möchte ich kurz den § 34 ins Spiel bringen.
§ 34 StGB – Rechtfertigender Notstand, ich zitiere:
„Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.“ Genau das ist beim BürgerInnenAsyl der Fall. Abschiebungen sind eine gegenwärtige Gefahr für Leib, Leben, Freiheit. Und die gilt es abzuwenden.
In der Akte zu diesem Strafverfahren findet sich auch ein Spiegel-Artikel mit meinem Namen, in dem es um Seenotrettung geht. Um unser Projekt des Alarm Phone, einer Hotline zur Unterstützung von Menschen in Seenot. Und mit diesem Verweis will die Staatsanwaltschaft mich offensichtlich zum Überzeugungstäter machen. Ja, ich bin und bleibe in der Tat bei der Überzeugung, dass es eines praktischen Widerstandes bedarf gegen die täglichen Menschenrechtsverletzungen – ob am Flughafen oder auf dem Mittelmeer. Wir kämpfen um jedes Boot und gegen jede Abschiebung!
Ich will hier nicht weiter ausführen, wie es mit der schändlichen Kriminalisierung der zivilen Seenotrettung bestellt ist. Sie ist ein europaweites Phänomen und deshalb will ich abschließend noch einen mutmachenden Hinweis geben zum Verfahren gegen einen „Solidaritätsverbrecher“ in Südfrankreich. Cedric Herrou, ein Olivenbauer, war angeklagt, über 200 MigrantInnen bei der Überquerung der Grenze von Italien nach Frankreich geholfen zu haben. Das Verfahren zog sich über Jahre hin und ging durch alle Instanzen. Jetzt im Mai 2020 wurde er schließlich von allen Anklagepunkten freigesprochen.
https://www.theguardian.com/world/2020/may/13/french-court-scraps-olive-farmers-conviction-for-helping-migrants-cross-border?CMP=Share_iOSApp_Other
https://www.nau.ch/news/europa/bekannter-franzosischer-fluchtlingshelfer-nach-jahren-freigesprochen-65707380
Ich werde, falls es heute hier zu einer Verurteilung kommt, ebenfalls durch alle Instanzen gehen. Bis dieses Verfahren niedergeschlagen ist. Denn: kein mensch ist illegal.“
Solidarität statt Abschiebung!
Wegen Aufruf zu BürgerInnenAsyl: Gerichtsprozess in Alzenau am 17. Juli 2020 Aktivist aus Hanau wegen „Öffentlicher Aufforderung zu Straftaten“ angeklagt
Für Donnerstag, den 16. Juli 2020, ist um 12 Uhr ein Gerichtsverfahren gegen den Hanauer kein mensch ist illegal-Aktivisten Hagen Kopp angesetzt. Der Vorwurf: „Öffentliche Aufforderung zu Straftaten“. Der Hintergrund: Hagen Kopp steht mit seinem Namen im Impressum der Webseite: https://aktionbuergerinnenasyl.de
„Schütze Menschen vor Abschiebung – Mach mit.“ Unter diesem Motte wirbt die bundesweite Kampagne auf der Webseite für praktische Solidarität mit Menschen, die in „Armut, Verfolgung oder gar Krieg“ abgeschoben werden sollen.
Im Mai 2017 wurde in Hanau eine der bundesweit ersten Initiativen für BürgerInnenAsyl gestartet. Hintergrund waren die seit Ende 2016 angelaufenen Charterabschiebungen nach Afghanistan, in ein bekanntlich von anhaltendem Bürgerkrieg gezeichnetes Land. Über 50 Bürgerinnen und Bürger aus der Hanauer Zivilgesellschaft hatten damals den Aufruf unterzeichnet, in dem sie u.a. formulieren: „..Wir werden von Abschiebungen bedrohten Flüchtlingen aus Afghanistan Bürgerasyl gewähren, das heißt, wir werden Platz machen in unseren Wohnungen und notfalls die Menschen verstecken, die in Krieg und Verfolgung zurückgeschickt werden sollen.“
Die bundesweite Vernetzung und Kampagne für BürgerInnenAsyl startete ein Jahr später – 2018 – mit Plakaten und einer Webseite. Der Aufruf bzw. die Selbsterklärung der Kampagne von vor zwei Jahren sei hier nochmal zitiert. Denn diese Statement hat nichts an Aktualität verloren, es ist und bleibt Ausdruck einer notwendigen täglichen Solidarität mit allen, die von Abschiebung bedroht sind. Und es sind ausgerechnet Sätze aus diesem Aufruf, auf Grund derer dieser Gerichtsprozess stattfindet.
„Ich würde Menschen verstecken, um sie vor Abschiebung zu schützen!
Meine Solidarität gegen die Politik der Abschiebung und Ausgrenzung. Für eine Gesellschaft von Allen und für Alle.
Menschen in Not zu helfen, sie willkommen zu heißen und ihnen Schutz zu gewähren, ist eine der natürlichsten Sachen der Welt. Im Sommer 2015 beteiligten sich Millionen Menschen in diesem Land, diese Werte in die Tat umzusetzen. Und auch wenn mittlerweile wieder rassistische Hetze und verschärfte Gesetze die Situation in Deutschland und Europa dominieren – die praktische Solidarität, die vor drei Jahren gelebt wurde, ist noch immer lebendig. Ich will beitragen, sie zu erneuern und zu stärken in einer Zweit, in der Menschenrechte für Geflüchtete und MigrantInnen systematisch mißachtet werden. Jeden Tag werden Menschen von Flughäfen abgeschoben. Sie werden gegen ihren Willen in andere Länder Europas oder in ihre Herkunftsländer verfrachtet, zurück in Armut, Verfolgung oder gar Krieg. Das will ich nicht tatenlos hinnehmen. Ich stehe auf für eine offene Gesellschaft, in der wir – ohne Abschiebungen und Ausgrenzung – die Zukunft gemeinsam gestalten wollen. Für eine solidarische Welt, in der die Würde des Menschen tatsächlich unantastbar ist.
Deshalb rufe ich dazu auf, lokale Initiativen zu unterstützen, die von Abschiebung bedrohten Menschen BürgerInnenAsyl gewähren und sie auch notfalls in ihren Wohnungen verstecken. Ich werde mich selbst, nach meinen Möglichkeiten, an Initiativen des zivilen Ungehorsams gegen die ethisch nicht vertretbare Abschiebepolitik beteiligen: für ein zivilgesellschaftliches Willkommen in einer offenen und sozial gerechten Gesellschaft.“
Insbesondere die letzten (fettgedruckten) Sätze sollen eine Anklage begründen, die durch nichts zu rechtfertigen ist. Abschiebungen sind eine Form des Rassismus. Diese Politik der Ausgrenzung gehört auf die Anklagebank, und nicht die Solidarität gegen dieses Unrecht.
Abschiebungen stoppen.
Solidarität statt Spaltung und Ausgrenzung!
kein mensch ist illegal
Solidaritätsbekundung Bürger*innenasyl Initiative Münster
Das Bürger*innenasyl als Akt der Menschlichkeit darf nicht
kriminalisiert werden!
Als /Bürger*innenasyl Initiative Münster/ wollen wir unsere Solidarität
mit Hagen K. und allen Menschen, die kriminalisiert werden, weil sie
andere Menschen die von Abschiebungen bedroht sind unterstützen und
bemüht sind, sie zu schützen, ihnen Sicherheit und eine Bleibe zu geben.
Bürger*innenasyl darf keine Straftat sein, denn es ist ein Akt der
Menschlichkeit.
Daher sind wir erschüttert über diesen Versuch, das Bürger*innenasyl zu
kriminalisieren.
Im Impressum einer Internetseite der Bürger*innenasyl-Plattform zu
stehen soll ein „Aufruf zu Straftaten“ sein? Bereits im letzten Jahr
wurde der Hanauer Menschenrechtsaktivist Hagen K. deswegen von der
Staatsanwaltschaft Aschaffenburg angezeigt und stand vor Gericht.
Er habe dazu aufgefordert, „von Abschiebung bedrohten Menschen
Bürger*innenasyl zu gewähren und sie auch notfalls in ihren Wohnungen zu
verstecken“. Damit habe er zu Straftaten aufgerufen – so der Vorwurf der
Staatsanwaltschaft.
Am Ende sprach der anwesende Richter vom Vorwurf des Verstoßes gegen
Paragraf 111 des StGB frei und folgte der Argumentation der
Verteidigung. Der Aufruf auf der Internetseite
www.aktionbuergerinnenasyl.de sei allgemein gehalten, sodass der
strafrechtliche „Bestimmtheitsgrundsatz“ nicht erfüllt sei. Dieser
verlangt, dass eine solche Aufforderung konkret formuliert ist.
Als sei das für die Staatsanwaltschaft nicht eine Ohrfeige genug, so ist
sie weiterhin gewillt Hagen K. zu verurteilen. Diesmal vor dem
Landgericht Aschaffenburg, da sie weiterhin den Straftatbestand für
erfüllt sieht.
Die Kriminalisierung soll der Abschreckung vor solchen Aktionen dienen
und so dazu beitragen, Bürger*innenasyle unmöglich zu machen. Doch wir
machen da nicht mit!
Solange abgeschoben wird, werden wir auch Wege finden, Menschen zu
helfen und sie zu schützen. Seid solidarisch, macht mit: Unterstützt die
Aktion BürgerInnenasyl, macht ein eigenes Bürger*innasyl oder erklärt
euch dazu bereit, diesen Menschen eine sichere Perspektive zu ermöglichen!
Wir sind gegen alle Abschiebungen von Geflüchteten und gegen die
Kriminalisierung aller Unterstützer*innen. Von Münster nach Hanau in die
ganze Welt reicht unsere Solidarität!
Initiative Bürger*innenasyl Münster
4. Mai 2021
https://buergerinnenasylmuenster.blackblogs.org/